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Autor Thema: FB2 Schein nach neuer JachtVO nur fürs Mittelmeer geeignet?  (Gelesen 15924 mal)

Robert Maurer

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am: Mo 19. April, 2021 - 14:11:37 [CEST]
Aus eigener schmerzlicher Erfahrung kann ich berichten, dass meine ersten Törns in Gezeitenrevieren von großer Unsicherheit geprägt waren, weil mir sowohl tlw. die Geläufigkeit der Tidennavigation als auch die Erfahrung gefehlt haben.
:
Die Ausbildung auf die Inhalte des FB2 (nach JachtVO, aber auch schon früher!)  stellt meines Erachtens nicht ausreichend Wissen für die Führung eines Schiffes im Gezeitenrevier zur Verfügung! Es scheint mir, als würde der Ausbildungssektor in Österreich viel zu stark auf das Mittelmeer (in dem ja bekannterweise geringere Gezeitenströmungen auftreten) abstellen. Warum die für die Gezeitenreviere wirklich nötigen Lernziele in den FB3 verschoben wurden/sind, obwohl die Anwendung der Gezeitenaufgaben nahezu ausschließlich im FB 2 (d.h. max. 20nm vor der Küste) benötigt werden, entzieht sich meinem Verständnis!  In Staaten, welche Küsten mit Tidenbereichen haben, ist die umfangreiche Gezeitenausbildung selbstverständlicher Bestandteil des FB2.

Weiters wird bei den Erfahrungsnachweisen in keiner Weise ein Erfahrungsnachweis für ein Gezeitenrevier verlangt.

Zur Klarstellung: Ich denke, dass die Ausbildung in Österreich (verglichen z.B. mit unseren Nachbarländern) grundsätzlich eine Gute ist! Man hat nur in der neuen Jacht VO die Chance versäumt, die Ausbildungsqualität auf einnoch höheres Niveau wie  z.B. den RYA-Scheinen zu heben .

Was sind eure Erfahrungen dazu?




Harald Melwisch

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Antwort #1 am: Di 27. April, 2021 - 17:47:23 [CEST]
Lieber Robert,
  du schneidest da ein altes Thema an, das ich schon Jahrzehnte kenne. Hier mein Wissensstand:
1. Ja, die Lernziele des österreichischen FB2 Bootsführerscheines decken im wesentlichen Gewässer ohne hohe Tiden ab. Dies ist aber nicht seit der neuen JachtVO so, sondern seit dem bestehen des FB2. Die Argumentation ist: 98% der österreichischen FB2 Besitzer fahren erst mal in solchen Gewässern.
2. Das Argument, dass hohe Tiden im Bereich FB2 (20sm) eine große Rolle spielen stimmt, aber es stimmt genauso für FB1. Dies würde bedeuten, den gesamten Gezeitenlehrstoff in FB1 und FB2 zu prüfen. Das ist aber wieder international nicht üblich.
Daher ist es immer schon in Österreich üblich den 2% der Anfänger die gleich in Tidengewässer fahren wollen, zu sagen, sie mögen gleich FB3 machen. Dort ist der Tidenstoff enthalten.
Ein Autofahrer, der eben den Führerschein gemacht hat, sollte auch nicht gleich die Sahara überqueren.
International gesehen ist der Lehrstoff des österreichischen FB2 (welcher der übliche "Starterschein" ist) eher umfangreicher als der Lehrstoff der Starterscheine anderer Länder. Es macht daher keinen Sinn den Lehrstoff noch zu vergrößern. Es macht auch keinen Sinn mit den Lehrstoffen der RYA - Scheine konkurrieren zu wollen, da diese die üblichen Anforderungen der "International Certificates" überschreiten. Der englische "International Certificate" ist  übrigens auch weit unterhalb der Anforderungen der RYA-Scheine.
Also zusammengefasst: Wer in Tidengewässer fahren will, sollte erst mit Robert mitfahren und den FB3 machen! 
Beste Grüsse Harald             



Rudi Czaak

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Antwort #2 am: Di 27. April, 2021 - 21:52:33 [CEST]
Eine uralte Frage: Welchen Sinn hat ein Führerschein?
Die Antwort ist nicht schwarz/weiß. An den Endpunkten der Skala befinden sich zwei Extreme: am unteren Ende ein möglichst einfacher Zugang für möglichst viele Menschen. In der Seefahrt sind das die Nationen, die keinen Schein vorschreiben.
Am oberen Ende der Skala steht die Philosophie, dass der Führerscheinbesitzer alles kennen und können MUSS. Egal ob er es braucht oder nicht. Die Folge ist eine elitäre Welt.
Die große Frage bleibt, wo ist der vernünftige Ansatz.
Zu Roberts Gezeiten-Thematik hat Harald schon geschrieben, dass vom logischen Standpunkt die Gezeiten ganz klar zum FB1 gehören. Das wäre dann sinnvoll, wenn wir eine Seenation mit einer großen Gezeitenproblematik wären. Niemand darf raus, wenn er sich da nicht auskennt. Im FB1 müsste dann aber auch Radar aufgenommen werden, weil schlechte Sicht nicht auf das offene Meer beschränkt ist.
Ganz grundsätzlich meine ich, dass Führerscheine eine universelle Basis abdecken sollten und die Menschen dann in der Praxis ihr Wissen und ihre Fähigkeiten entsprechend ihrer Vorhaben weiter entwickeln sollten. Meinetwegen mit Zertifikaten. Willst du ein Schiff mit Radar chartern, brauchst du den Radarzusatz. Willst du im Gezeitenrevier fahren, brauchst du das Gezeitenzertifikat, usw. Man könnte es auch der Verantwortung des Skippers überlassen.
Ich bin am Meer seit 40 Jahren unterwegs. Davon fast 30 Jahre als Skipper. In diesen Jahrzehnten hatte ich dreimal Radar am Charterschiff.
Aber in den letzten 15 Jahren hatte ich kein einziges Schiff ohne GPS. Kein Thema bei uns.
In 40 Jahren hatte ich kein einziges Schiff ohne Funk. Kein Thema bei uns.
Die österreichischen Scheine sollten ausgemistet und an die Realität angepasst werden.
Wir sind eine Binnennation. Unser Seerecht beschränkt sich auf österr. Seeschiffe! Das wird häufig übersehen. Dafür fahren wir z.B. in kroatischen Gewässern mit einem Seeschiff unter kroatischer Flagge und haben keine Ahnung von den wichtigsten Paragrafen im kroatischen Seerecht*).
In 40 Jahren hatte kein einziges meiner Charterschiffe eine österreichische Flagge. Unser Status passt mit unserem Gesetz nicht zusammen.
Wir sollten Ausbildung mit Führerscheinprüfung von Weiterbildung und Training trennen.
Am Ende sollten wir auch überdenken, warum viele große Seenationen überhaupt keine Scheine vorschreiben? So gesehen rangiert das Kroatische Küstenpatent vom unteren Ende in der Skala nach oben, Richtung Mitte. Es gibt keinen Nachweis, dass Seefahrer aus Nationen mit geringen Qualifikationsvorschriften ein höheres Unfallrisiko haben. Die Versicherungen würden uns das mitteilen.
In meiner FB2 Prüfung 1994 mussten wir die Wende im Strom berechnen. Ehrlich, bis der Navigator mit Navigation auf der Karte fertig ist, hat der Steuermann die Felsen von Pag schon lange überquert und steht am Hang des Velebitgebirges  :). In Zeiten von GPS ein Schwachsinn. Gottseidank nicht mehr im Programm. Dafür halten wie auf der Zwölftel Regel bei den Gezeiten eisern fest, obwohl sie nicht stimmt. Die Hilfen in den ATT oder Reed darf man aber nicht verwenden???
Es ist an der Zeit für eine neue JachtVO! Da würde ich gerne mitarbeiten.
Handbreit Rudi
*) weil mich diese Situation nervte habe ich das kroatische Seerecht übersetzt, und dabei viele Überraschungen gefunden:
"Kroatisches Seerecht für Boote und Yachten" auf https://czaak.at




Robert Maurer

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Antwort #3 am: Mi 28. April, 2021 - 10:12:49 [CEST]
Ihr sprecht mir aus der Seele.........
Zitat
Daher ist es immer schon in Österreich üblich den 2% der Anfänger die gleich in Tidengewässer fahren wollen, zu sagen, sie mögen gleich FB3 machen. Dort ist der Tidenstoff enthalten.
So deutlich war mir das 1992 (beim Erwerb meines FB2 Scheins) nicht bewusst(oder ich hab es damals in meinem jugendlichen Überschwang überhört).
Bis zu meinem ersten Gezeitentörn habe ich im Mittelmeer (Adria, Ägäis, Sardinien, Korsika) ungefähr 4000sm zurückgelegt,  die Erweiterung auf FB3 erworben und habe mich daher schon ziemlich erfahren gefühlt.
1998 folgte der erste Gezeitentörn von der  Bretagne (St. Malo) zu den Channel-Islands. Das war, um einen Vergleich mit Fussball zu strapazieren, wie Regionalliga Ost zu Champions-League.
Gezeitenhübe von 8 Metern, Strömungen bis 5kn, Wind gegen Strom Verhältnisse mit brechender See, Schnellfähren im engen Fahrwasser, Hafeneinsteuerungen auf Deckpeilungen usw. haben mich und meine Crew an unsere Grenzen (und ein Stück darüber hinaus!) gebracht.
Rückblickend war  mE primär die fehlende Erfahrung (an der reinen FB3 Theorie hats ja nicht gefehlt) die Ursache, aber die Lernkurve steil.
Ein Törn als Mitsegler mit einem erfahrenen Skipper in diesem Revier hätte sicherlich im Vorfeld geholfen, die realen Verhältnisse besser einzuschätzen.
Solche Gelegenheiten waren für mich damals aber nicht greifbar, und sind auch heute noch kein gängiges Mitsegelangebot.

Nach mehreren weiteren Törns im Atlantik (England, Schottland, Irland,..) habe ich die Attraktivität dieser Reviere kennen und lieben gelernt. Wenn ich heute die Wahl zwischen einem Törn im Mittelmeer und einem an der Atlantikküste habe, würde ich immer den Atlantik wählen.
Ich möchte damit alle "Mittelmeersegler" ermuntern, ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Hinter der Straße von Gibraltar gibt es auch noch eine Welt, die weit "meer" zu bieten hat.
Hätte ich rückblickend die Wahl für den Erfahrungserwerb, würde ich heute den Weg über ein Gezeitentraining (z.B. im Solent) gehen, und nicht wie wir die Erfahrung "auf die harte Tour" machen wollen.
« Letzte Änderung: Mi 28. April, 2021 - 11:36:16 [CEST] von Dominik Bergthaler »